Ordentliche Kündigung – betrieblicher Anwendungsbereich des KSchG
Bundesarbeitsgericht Urteil vom 19.7.2016, 2 AZR 468/15
Sachverhalt:
In dem Prozess stand der Streit über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung zur Diskussion. Der Kläger war als Sales- und Marketingmanager seit Juli 2007 zunächst bei einer Schwestergesellschaft der Beklagten angestellt. Das Arbeitsverhältnis wurde dann ab Juli 2009 mit der Beklagten allein fortgeführt. Diese erwarb von der Schwestergesellschaft deren Betrieb in F sowie eine selbstständige Betriebsstätte in der Schweiz (im Handelsregister eingetragen). Deren Leiter war für die Einstellung/Entlassung des Personals dieser Niederlassung zuständig. Zwei bei der Schweizer Betriebsstätte angestellte Arbeitnehmer hatten zudem ihren Wohnsitz in Deutschland.
Die Beklagte kündigte dem Kläger das bestehende Arbeitsverhältnis am 28.10.2013 zum 31.12.2013. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte sie in ihrem Betrieb in F neben dem Kläger neun weitere Angestellte.
Zum März 2014 annoncierte die Beklagte über das Internet für ihre in F gelegene Betriebsstätte einen Sales Assistant.
Der Kläger erhob fristgerecht Klage gegen die Kündigung mit der Begründung diese sei sozial ungerechtfertigt, das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung, die in der Schweizer Betriebsstätte beschäftigten Angestellten seien bei der Berechnung der Arbeitsnehmerzahl der Hauptniederlassung ebenfalls mit zu berücksichtigen, zumindest habe er einen Anspruch auf Wiedereinstellung als Sales Assistant. Der Kläger beantragte daher:
1. Es wird festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 28.10.2013, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat.
2. Die Beklagte wird verurteilt den Kläger für den Fall des Obsiegens mit Antrags zu 1. zu unveränderten, aber vertraglichen Bedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung als Sales Marketing Manager zu beschäftigen.
3. Für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag ist die Beklagte zu verurteilen, das Klägerangebot auf Wiedereinstellung mit Wirkung ab 1.1.2014 als Sales Assistant zu den bei der Beklagten üblichen Arbeitsbedingungen und einem Jahreshonorar von Euro 95000 unter Anrechnung einer Betriebszugehörigkeit ab dem 1.7.2007 anzunehmen.
Die Beklagte stellte Klageabweisungsantrag mit der Begründung, dass die beiden vom Kläger benannten Mitarbeiter in der Schweizer Betriebsstätte ausschließlich Arbeitsanweisungen von deren Leiter erhielten und nur gelegentlich aus geschäftlichen Anlässen den Betrieb in F aufsuchten.
Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Das BAG erachtet die Revision aus folgenden Gründen für unbegründet:
Die Kündigung war nicht sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Im Kündigungszeitpunkt wäre der Kläger nicht in einem Betrieb beschäftigt, für den der erste Abschnitt des KSchG gem. §23 Abs. 1 S. 3 KSchG Anwendung fand. Weitere Unwirksamkeitsgründe machte er gegenüber der Kündigung nicht geltend.
In Betrieben, in denen regelmäßig nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt werden, gelten gemäß § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG die Vorschriften des ersten Abschnittes des Kündigungsschutzgesetzes mit Ausnahme der §§ 4-7, 13 Abs. 1 S. 1und2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis wie hier bereits nach dem 31.12.2003 begann.
Auch enthält das gesamte Kündigungsschutzgesetz keine Definition des Betriebsbegriffes. Für die §§ 1, 15, 17 KSchG gilt daher der Betriebsbegriff des § 1 BetrVG. Hiernach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern mithilfe von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt. Dieser Betriebsbegriff wird im gesamten Kündigungsschutzgesetz einheitlich gebraucht. Entsprechend der Unterscheidung zwischen „Betrieb“ und „Unternehmen“ gem. § 1 Abs. 1 KSchG ist er auch im § 23 Abs. 1 KSchG nicht mit dem Begriff des Unternehmens gleichzusetzen.
Die Darlegungs- und Beweislast für die betrieblichen Voraussetzungen nach dem § 23 Abs. 1 KSchG trägt zudem der Arbeitnehmer. Nur etwaige in Schwierigkeiten, welche sich aufgrund fehlender, eigener Kenntnismöglichkeiten ergeben, ist durch die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen.
Vorliegend war der betriebliche Geltungsbereich gem. § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG nicht eröffnet, da die Beklagte zum Kündigungszeitpunkt in ihrem Betrieb in F nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigte. Weder aus dem Klägervorbringen noch objektiv ist ersichtlich, dass außer den unstreitig dort beschäftigten 10 Arbeitnehmern (einschließlich des Klägers) noch mindestens ein weiterer Mitarbeiter der Schweizer Betriebsstätte dem Betrieb in F zuzurechnen wäre.
Zwar hat der Kläger behauptet, die beiden benannten Mitarbeiter würden in der Hauptniederlassung beschäftigt und von Deutschland aus den gesamten europäischen Markt bearbeiten. Hierzu fehlt es jedoch an einem substantiierten Tatsachenvortrag dazu, dass diese in den Betrieb in F tatsächlich eingegliedert waren. Die beiden Mitarbeiter suchten den Betrieb in F lediglich gelegentlich im Rahmen von Meetings und Präsentationen auf, was jedoch nicht genügt, um sie bei der Bestimmung einer Betriebsgröße mitzuzählen. Die Mitarbeiter müssten viel mehr in die dortige betriebliche Struktur eingebunden sein. D. h. dass sie ihre Tätigkeit für den Betrieb in F erbringen und auch von dort die Weisungen für ihre Arbeitsaufträge erhalten. Dies hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen.
Außerdem handelt es sich bei der Schweizer Niederlassung gerade nicht um einen unselbstständigen Betriebsteil der Hauptniederlassung in F, da die in der Schweiz gelegene Betriebsstätte organisatorisch eigenständig ist. D.h. sie verfügt über eine selbstständige Verwaltung und Lohnbuchhaltung und ihr Niederlassungsleiter nimmt Einstellungen und Entlassungen des dortigen Personals eigenverantwortlich vor.
Auch ist eine Zusammenrechnung der Arbeitnehmer beider Niederlassungen deshalb nicht geboten, weil ansonsten eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr zu vereinbarende Ungleichbehandlung der Mitarbeiter der Niederlassung F mit den Arbeitnehmern in einem nicht in mehrere betriebliche Einheiten gegliederte Unternehmen vorliege.
§ 23 Abs. 1 KSchG stellt auf die Betriebs- und nicht auf die Unternehmensgröße ab. Der Betriebsbezug des Schwellenwerts von 11 Arbeitnehmern ist also nicht schon immer dann zu durchbrechen, wenn sich das Unternehmen zwar in mehrere kleine, organisatorisch verselbstständigte Einheiten gliedert, insgesamt aber mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Denn das würde eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte, generelle Gleichsetzung von Betrieb und Unternehmen bedeuten und nicht berücksichtigen, dass auch das Bundesverfassungsgericht lediglich von Einzelfällen ausgegangen ist, die dem gesetzgeberischen Leitbild nicht entsprechen.
Daher wäre im Streitfall selbst dann nicht auf die Unternehmensgröße der Beklagten abzustellen, sofern es sich bei der Niederlassung in der Schweiz sogar um einen eigenständigen im Inland gelegenen Betrieb gehandelt hätte. Zudem wurde vom Kläger nicht vorgetragen warum sich aufgrund von der gelegentlichen Anwesenheit der Schweizer Mitarbeiter in der Niederlassung F eine enge Zusammenarbeit der dortigen Arbeitnehmer wesentlich von der in einem typischen Kleinbetrieb unterscheide und warum sich zum Beispiel die Persönlichkeit und der Leistungsbeitrag jedes Beschäftigten nicht so unmittelbar auf das Betriebsklima und die Funktionsfähigkeit der in F gelegenen Betriebseinheit auswirkt, wie dies für einen Kleinbetrieb typischerweise erfolgt.
Nach dem BAG liegen keine Anhaltspunkte für eine missbräuchlich willkürliche Zersplitterung des Unternehmens der Beklagten in mehrere eigenständige Einheiten vor, welche auf die Verhinderung des Entstehens des allgemeinen Kündigungsschutzes gerichtet wären.
Soweit der Kläger behauptet, die Beklagte hätte ihre Beschäftigungszahl nur vorübergehend abgesenkt, so hat er etwaige Gründe hierfür nicht vorgetragen. Solche sind objektiv auch nicht ersichtlich.
Die Klage war daher abzuweisen. Ebenso der Wiedereinstellungsantrag, da es im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für ein treuwidriges Verhalten der Beklagten gab. Die vom Kläger reklamierte Stellenausschreibung aus dem März 2014 betraf eine andere Tätigkeit als die von ihm zuvor ausgeübte. Ferner hat er nicht vorgetragen, dass eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn bereits vor dem 31. 12. 2013 bestand.